Artikel veröffentlicht bei rechtsaussen.berlin

Kinder und Jugendliche, welche von der Mehrheitsgesellschaft der Gruppe der ndH (nicht deutsche Herkunftssprache) zugerechnet werden und als ‚nicht so wie wir‘ und/oder als ,nicht deutsch‘ markiert werden, sind oftmals in den verschiedensten Kontexten von rassistisch oder antisemitisch motivierter Diskriminierung und Gewalt betroffen. Erwachsene Männer und Frauen scheuen nicht davor zurück, am helllichten Tag aus rassistischen oder antisemitischen Motiven gegen Kinder und Jugendliche gewaltsam vorzugehen. Gleichermaßen werden Kinder und Jugendliche oft Zeug*innen von Angriffen, die ihren Familienmitgliedern oder Freunden gelten, was von den Kindern und Jugendlichen als nicht weniger belastend erlebt wird.

Insbesondere deshalb, weil sich ein Großteil dieser Taten gegen Kinder und Jugendliche in ihren alltäglichen und als sicher empfundenen Räumen ereignen, wie beispielsweise auf Spielplätzen, an Bushaltestellen oder in Kaufhäusern. Rassistisch oder antisemitisch motiviertes Mobbing (beispielsweise ausgeschlossen werden, beschimpft werden, geschlagen werden) erleben die Kinder und Jugendlichen zudem häufig in den Institutionen, in denen sie sich täglich bewegen, wie in Schulen, im Hort und in Kitas. Insbesondere im Kontext von Schule und Kita werden rassistisch motivierte Diskriminierungen und Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen jedoch oftmals nicht erkannt und als harmlose Streitereien bagatellisiert, so dass die Opfer oft über Jahre Anfeindungen, Erniedrigungen und Gewalt ausgesetzt sind und keine Hilfe erfahren. Unabhängig davon in welchen Kontexten Kinder und Jugendliche von rassistisch oder antisemitisch motivierten Diskriminierungen und Angriffen betroffen sind, so stellen sie für die Betroffenen meist einschneidende Erfahrungen dar, die ihr Grundvertrauen in die Umwelt, in die darin lebenden Menschen und in sich selbst meist grundlegend erschüttern.

Beispielsituationen aus der Chronik rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe auf Kinder und Jugendliche in Berlin 2018 (Quelle: Pressekonferenz ReachOut 2019):

11. September 2018, Berlin-Neukölln
Gegen 0.40 Uhr wird im Kinder- und Jugendhilfezentrum im Girlitzweg in Buckow der Vorhang in dem Zimmer eines 15-jährigen, geflüchteten Jugendlichen in Brand gesteckt. Einige Stunden vorher wurde der 15-Jährige rassistisch beleidigt und attackiert.

10. September 2018, Berlin-Neukölln
Ein 15-jähriger Jugendlicher, der in Begleitung von zwei Freunden ist, wird gegen 19.10 Uhr in der Rudower Straße in Buckow von einem unbekannten Mann rassistisch beleidigt und ihm wird eine Bierflasche in den Rücken geworfen.

26. August 2018, Berlin-Treptow
Ein 34-jähriger Mann, der gegen 18.20 Uhr in Begleitung seiner Frau und drei Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren in der Florian-Geyer-Straße unterwegs ist, wird von einem unbekannten Mann aus rassistischer Motivation beleidigt. Ein Zeuge greift ein, als der Unbekannte den Hund auf die Familie hetzt.

Folgen für die Betroffenen

Betrachtet man die Folgen solcher Erfahrungen, ist es sinnvoll, zunächst eine Unterscheidung zwischen einmaligen und über längere Zeit andauernden oder sich wiederholenden Erlebnissen zu treffen. Plötzliche Angriffe, wie Schläge durch einen fremden Erwachsenen auf dem Spielplatz beispielsweise, rufen meistens eine unmittelbare Erschütterung des Urvertrauens und der subjektiv erlebten Sicherheit hervor. Erleben die Betroffenen zudem, dass auch die sonst als ‚beschützend‘ erlebten Aufsichtspersonen sie nicht beschützen konnten oder noch schlimmer, selbst auch Ziele des Angriffes wurden, reagieren Kinder und Jugendliche oftmals mit einer Reihe an Symptomen, die erst einmal als normale Reaktionen auf überwältigende Umstände interpretiert werden können. In Bedrohungssituationen reagiert der menschliche Organismus mit neuronaler Erregung und der Mobilisierung des Selbstschutzsystems, welches uns dazu befähigen soll zu kämpfen oder zu fliehen. Je nach Alter der Kinder und Jugendlichen reichen die zur Verarbeitung solch überwältigender Erlebnisse zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen nicht aus, so dass die in der Bedrohungssituation entstandene neuronale (Über-) Erregung und die damit einhergehenden körperlichen Reaktionen, nicht ausreichend abgebaut werden können.

Die Auswirkungen länger andauernder und sich wiederholender Erlebnisse, wie es beispielsweise beim rassistischen und antisemitischen Mobbing in der Schule der Fall ist, lassen sich oft nicht leicht erkennen, da die Kinder und Jugendlichen oftmals Scham empfinden oder glauben das Verhalten ihnen gegenüber sei gerechtfertigt.

Der Überschuss an neuronaler Erregungsenergie kann sich, sofern er nicht durch spezifische und zielgerichtete Unterstützung z.B. durch Bezugspersonen abgebaut werden kann, zu traumatischem Stress auswachsen, welcher in einer Reihe von belastenden Symptomen und Verhaltensweisen Ausdruck finden kann. Wie sich eventuell entstandene Belastungen identifizieren und interpretieren lassen, unterscheidet sich dabei sehr im Hinblick auf das Alter der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Äußert sich traumatischer Stress beispielsweise bei Klein- und Vorschulkindern in Hyperaktivität, Wutausbrüchen, Lethargie, Regression auf frühere Entwicklungsstufen oder im ständigen Nachspielen des traumatischen Ereignisses, so lässt sich hingegen bei Jugendlichen beobachten, dass sie nach solch einschneidenden Erlebnissen oftmals eine verminderte Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit zeigen, unter depressiven oder psychosomatische Symptome leiden und vermehrt zu Verhaltensweisen wie Rückzug, Suchtmittelmissbrauch oder Aggression neigen.

Die Auswirkungen länger andauernder und sich wiederholender Erlebnisse, wie es beispielsweise beim rassistischen und antisemitischen Mobbing in der Schule der Fall ist, lassen sich oft nicht leicht erkennen, da die Kinder und Jugendlichen oftmals Scham empfinden oder glauben das Verhalten ihnen gegenüber sei gerechtfertigt. Erfahren sie zudem, dass sie sich vertrauensvoll an Aufsichtspersonen gewandt haben, diese aber ihre Schilderungen anders interpretieren oder bagatellisieren, finden viele Kinder und Jugendliche nicht den Mut, sich mit ihren Erfahrungen erneut an jemanden zu wenden. Im Beratungssetting berichteten die Betroffenen beispielsweise davon, dass sogar manchmal eine Opferumkehr stattgefunden habe, indem gegen sie der Vorwurf erhoben worden sei, durch ihre Verhaltensweisen selbst solche Handlungen provoziert zu haben. Dabei verstärkt besonders die nicht erfahrene Unterstützung die Gefühle der Existenzbedrohung, welche durch Gefühle der Hilflosigkeit, des Entsetzens und oftmals auch der (Todes-)Angst begleitet werden. Schulunlust, Schulangst, aggressives Verhalten und depressive Symptome wurden als Folgen solcher Situationen durch die Betroffenen oder durch die Eltern der Betroffenen beschrieben.

Was kann betroffenen Kindern und Jugendlichen helfen?

Zunächst ist es wichtig anzuerkennen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen Erfahrungen machen mussten, die nicht akzeptabel sind und die transparent und ihren Motiven nach beim Namen genannt werden müssen. Im Rahmen der Psychoedukation, in welcher den Angehörigen und den Betroffenen erklärt wird, wie der psychische Apparat auf belastende Ereignisse reagiert, ist es besonders wichtig zu betonen und anzuerkennen, dass ihr nach so einschneidenden Erfahrungen gezeigtes Verhalten und die Palette ihrer Gefühlsreaktionen eine normale Reaktion auf ein oder mehrere unnormale Ereignisse darstellt. Dabei ist es eine grundlegende Voraussetzung für eine alters- und bedürfnisorientierte Beratung zu eruieren, wie sich Belastungen bei dem betreffenden Kind oder dem/der Jugendlichen überhaupt äußern. Dabei sind vor allem die Verhaltensbeobachtungen nahestehender Personen von Bedeutung, aber je nach Alter und Ausdrucksmöglichkeiten können und sollten die Kinder und Jugendlichen selbst Raum finden ihre Gefühle zu beschreiben. Wie eine konkrete bedürfnisorientierte Unterstützung der Kinder und Jugendlichen konkret ausgestaltet werden kann, ist sehr vom Alter und der kognitiven Entwicklung abhängig. Vereinfacht gesagt geht es aber vornehmlich darum, mittels Informationsvermittlung und konkreter Interventionen wieder Ruhe ins System zu bringen. Das neuronale Erregungslevel muss runter fahren, das heißt Körper und Psyche müssen wieder das Vertrauen darin zurück gewinnen, dass der/die Betroffene wieder in Sicherheit ist. Eltern können ihre Kinder unterstützen, indem sie die seit dem Ereignis auftretenden Verhaltensveränderung erst einmal annehmen und den Blick darauf richten, dem Kind oder Jugendlichen Sicherheit zu vermitteln. Neben körperlicher Zuwendung, erklärenden und stärkenden Gesprächen, auch mittels altersangemessener Literatur zu den Themen Identität, Rassismus, Mobbing etc., kann das auch bedeuten, das Kind dazu zu ermutigen, gemeinsam eine Beratungsstelle wie beispielsweise KiDs („Kinder vor Diskriminierung schützen!“), OPRA, EOTO und/oder ReachOut aufzusuchen. Mittlerweile gibt es auch durch verschiedene Träger explizit für betroffene Kinder und Jugendliche entwickelte Workshops, in welchen sich (potentiell) betroffene Kinder und Jugendliche miteinander vernetzen und unter Anleitung gemeinsam Handlungsoptionen ausarbeiten. So hat ReachOut beispielsweise, gemeinsam mit KiDs und OPRA, schon seit 2017 eine Reihe an Workshops für betroffene Kinder- und Jugendliche und im Anschluss für deren Eltern konzipiert, welche durch die Teilnehmer*innen als sehr unterstützend erlebt wurden. Durch eine starke Vernetzung in den sozialen Medien, gibt es mittlerweile auch eine Reihe an Onlinegruppen, in welchen sich Betroffene und deren Angehörige austauschen und stärken.

Fanden die Erlebnisse im institutionellen Kontext wie etwa Schule, Kita oder Verein statt, ist es für die Betroffenen essentiell auch bezüglich der rassistischen oder antisemitischen Diskriminierungen, die sie erleben mussten, ernst genommen werden. Ein Sicherheits- bzw. Schutzkonzept, das sich daraus ableitet, müssen die Betroffenen nachvollziehen und verstehen können. Es geht darum, ihr Gefühl von Sicherheit zurück zu bekommen. Insbesondere einem einfühlsamen Umgang der Lehrkräfte als primäre Bindungspersonen im schulischen Alltag kommt eine besondere Funktion zu. Solidarität und Anerkennung durch die Lehrkräfte und ein altersgerechtes Einbeziehen und Mitwirken der Betroffenen als auch der Gruppe (Klasse, Verein), in welcher solche Erfahrungen gemacht wurden, ist für die Betroffenen oftmals ein wichtiger Faktor, um das Gefühl der Hilflosigkeit zu schmälern und das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhöhen.

Eine der Fragen, die uns als Beratungsstelle immer wieder gestellt wird, ist, was das Wichtigste sei im Umgang mit Betroffenen. Die Antwort fällt meist simpel aus, auch wenn dahinter eine riesige Dimension zu stecken scheint: Wenn man sich den Betroffenen mit einem offenen Ohr zuwendet und sich nicht automatisch durch Schuldgefühle und Ängste in eine Abwehrhaltung begibt, ist schon sehr viel geholfen und erreicht!


Das Projekt OPRA (Psychologische Beratung für Opfer rechter, rassistischer & antisemitischer Gewalt) berät als psychologische Opferberatungsstelle seit dem Jahre 2003 unter der Trägerschaft von ARIBA e.V. Opfer von rassistisch, rechts und antisemitisch motivierten Straftaten, sowie deren Angehörige. Ziel ist es, eine niedrigschwellige, psychologisch fundierte, kurz- und mittelfristige als auch traumazentrierte Opferberatung für die genannten Opfergruppen anzubieten. Es geht darum, der Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Langzeitfolgen aufgrund derartiger Gewalttaten entgegen zu wirken.

Quelle: https://rechtsaussen.berlin/2019/07/rassismus-gegen-kinder-und-jugendliche-eine-analyse-aus-psychologischer-sicht/

Artikel veröffentlicht bei so-gesund.com

Rassismus ist laut Grundgesetz verboten. Trotzdem gehört er für viele Menschen zum Alltag und schadet auch gesundheitlich. Ein Interview.

Frau Cuff-Schöttle, Sie arbeiten in Berlin als psychologische Beraterin und Therapeutin und beschäftigen sich unter anderem mit den Auswirkungen von rassistischen Erfahrungen auf die seelische und körperliche Gesundheit. Welche alltagsrassistischen Äußerungen sind weit verbreitet?
Beispielsweise die Aussage “Sie können aber gut Deutsch!”. Das ist zwar oft nett gemeint, kommt aber oftmals mit der unterschwelligen Botschaft beim Empfänger an: “Sie können keiner oder keine von UNS sein”. Außerdem: “Sie sind die Ausnahme! Andere Ihrer Art sind weniger pfiffig!” Genauso gibt es Alltagsrassismus auf nonverbaler Ebene. Etwa, wenn im Bus die Handtasche plötzlich fester gehalten wird, wenn ich mich dazu setze. Wenn ich beim Bäcker stehe, und alle werden angelacht, aber sobald ich an der Reihe bin, geht die Mimik nach unten. Oder bei der Wohnungssuche ist mit hoher Sicherheit klar, dass ich die Wohnung nicht bekomme, wenn neben mir ein deutsches, weißes Pärchen steht.

Inwiefern ist Ihnen selbst Alltagsrassismus bekannt?
Es gibt ein interessantes Konzept von dem Psychoanalytiker Fakhry Davids, das meine alltägliche Erfahrung ganz gut beschreibt. In diesem Konzept geht es um die sogenannte innere rassistische Organisation bei Menschen. Diese führt laut Davis dazu, dass Stereotype in die Menschen projiziert werden, die man beispielsweise aufgrund eines anderen Hauttons nicht als zugehörig zur eigenen Gruppe erlebt. Also, wenn ich als Schwarze Frau* gut tanzen und singen kann, viel lache oder aber auch die temperamentvolle Exotin bin, ecke ich selten an, bekomme sogar oft Zuspruch. Wenn ich mit meinem Auftreten und meinem Verhalten von der Erwartung jedoch abweiche, wird es schon schwieriger.

Zum Beispiel?
Letztens war ich auf einer Fortbildung. Dort sprach mich ein Therapeut an und sagte lachend, er sei über meine Anwesenheit im Fortbildungsseminar verwundert und habe sogar vergessen, dass ich am ersten Tag auch schon teilgenommen habe, weil er Schwarze Menschen eher als Exoten und erotische Geschöpfe abgespeichert habe. Auf einer Veranstaltung über Diagnostikverfahren würde er sie einfach nicht erwarten. Ich denke, er wollte eigentlich seiner Bewunderung Ausdruck verleihen, aber solche Situation sind bezeichnend. Ich musste sofort daran denken, wie nah die Wirklichkeit an Fakhry Davids Idee ist.

Inwiefern können sich rassistische Diskriminierung und rassistische Gewalt auf die Gesundheit der Betroffenen auswirken?
Viele Menschen, die täglich mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert werden, erleben das als sehr belastend. Sie berichten von chronischer innerer Angespanntheit, großer Wut, Hilflosigkeit und der Angst vor bestimmten sozialen Situationen. Dies wirkt sich natürlich auch körperlich aus, beispielsweise in Form von Schlafstörungen oder körperlichen Schmerzen, die oft nicht in Zusammenhang zu körperlichen Erkrankungen stehen. Es gibt eine Reihe an Symptomen, die im Zuge von sogenanntem ‘race-related stress’ entstehen können. Potenziert sich dieser Stress oder kommt das Erleben rassistischer Gewalt hinzu, geht dies zudem oftmals mit der Entwicklung von Traumafolgestörungen einher.

Gibt es hierzu Studien?
Leider viel zu wenige aus dem deutschsprachigen Raum. Aber Amma Yeboah, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, beschreibt in einem Überblicksessay den Zusammenhang von Rassismus und Stress und Rassismus und Trauma. Bei den Studien zeigt sich: Wer wiederholt mit Rassismus konfrontiert wird, ist unter Umständen sehr gestresst. Und die Stressreaktionen können wiederum das Entstehen von Depressionen und Angststörungen begünstigen. Und sie bringen möglicherweise auch ein erhöhtes Risiko für Psychosen mit sich. Im englischsprachigen Raum gibt es dazu deutlich mehr Forschung und Belege. Der Psychologe Robert T. Carter von der Columbia University fasst verschiedene Studien zusammen, die belegen, dass Rassismus ähnliche Effekte auf die psychische und emotionale Gesundheit der Betroffenen haben kann wie sexuelle Gewalt oder andere traumatische Erlebnisse.

Aus Forschung zum Dritten Reich ist bekannt, dass Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden.
Ja. Ich beobachte häufig, dass von rassistischer Diskriminierung und -Gewalt betroffene Eltern oftmals sehr belastet sind und unter enormen Druck stehen. Sie geben diesen Druck natürlich an ihre Kinder weiter.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Ich habe beispielsweise eine Schwarze deutsche Mutter beraten, deren Sohn in der Schule rassistisches Mobbing erlebt hat. Durch dieses Erlebnis wurde die Mutter an eigene Erlebnisse mit rassistischer Diskriminierung im Kind- und Jugendalter erinnert. Ihre damals gespürte Scham, Hilflosigkeit und Angst wurden reaktiviert. Sie hatte sich im Laufe der Jahre zwar Strategien erarbeitet, die es ihr erlaubten, mit der eigenen Diskriminierungserfahrungen umzugehen. Aber durch die Betroffenheit ihres Kindes hatte sie dazu plötzlich keinen Zugang mehr. Die Mutter war traurig und fühlte sich sehr schuldig.

Wie hat sich das sich das Erleben der Mutter auf den Sohn übertragen?
Die Mutter wurde strenger und gab ihrem Sohn ungewollt das Gefühl, dass er das Mobbing möglicherweise verhindern könne, wenn er sich nur angepasster verhalten würde. Sie wusste natürlich, dass das so nicht stimmt. Aber im Gespräch kristallisierte sich heraus, dass sie selbst früh beigebracht bekommen hatte, dass man sich als Schwarzes Mädchen unauffällig, leiser, angepasster, moralisch korrekter und fleißiger zu benehmen hat. Und diese Muster wurde durch die Erfahrungen mit ihrem Kind wieder voll aktiviert.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Spirale von Anpassungsdruck?
Das, was andere Menschen an uns herantragen und in uns sehen wollen, lässt sich nicht einfach abstellen. Aber meine Klientinnen und Klienten empfinden den Austausch über das Erlebte oftmals als sehr entlastend. Indem wir in den Gesprächen den Rassismus und seine Wirkmechanismen auf Psyche und Körper als größeres Phänomen betrachten, schaffen wir es, von dem Gefühl wegzukommen, dass man selbst als Einzelperson das Problem ist oder nur man selbst dieses Problem hat. Wir schauen uns auch gemeinsam die eigenen Grundannahmen an und besprechen dann, welche Haltung und welche Reaktionen man entwickeln möchte, um sich und seine Liebsten zu stärken und durch das Fahrwasser des Alltagsrassismus besser hindurch zu kommen. Es gibt auch im Internet mittlerweile einige Möglichkeiten, sich online mit Menschen zu vernetzen, die Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung gemacht haben und die sich gegenseitig durch Tips und Informationen unterstützen.

Sie habend die virtuelle Online-Plattform MyUrbanology.de gegründet und wurden für den Health-i Award von dem Handelsblatt und der Techniker-Krankenkasse nominiert.
Genau. Meine Mitgründerin Alina Hodzode und ich haben mit MyUrbanology.de eine Onlineplattform ins Leben gerufen mit dem Ziel, Vorbilder, psychosoziale Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten sichtbarer zu machen. Dabei haben wir uns zunächst an den Menschen, Wohlfühlorten und Angeboten orientiert, die uns als Schwarze deutsche Frauen selbst ansprechen und uns stärken.

Was kann man tun, wenn man im Alltag rassistische Bemerkungen mitbekommt – auch wenn man selbst nicht Empfänger dieser rassistischen Nachricht ist?
Auf Empfehlung der Berliner Registerstellen, die diskriminierend motivierte Vorfälle sammeln, analysieren und Alltagsdiskriminierungen sichtbar machen, gibt eine ganze Reihe von Dingen die man tun, kann wenn man Zeuge von Angriffen oder Diskriminierungen wird (siehe Kasten). Ein erster Schritt ist allerdings, sich dafür erst einmal für das Problem zu sensibilisieren, damit man in solchen Situationen überhaupt handlungsfähig ist.

Wie verhalte ich mich am besten, wenn ich mitbekomme, dass jemand Opfer von Rassismus wird?

Stephanie Cuff-Schöttle: „Es ist wichtig, die Situation nicht runterzuspielen und zu handeln. Beispielsweise kann man Hilfe holen oder andere Menschen, die anwesend sind, aktiv als Zeugen mit einbeziehen. Außerdem kann es hilfreich sein, sich Notizen zur Situation zu machen, also zum Ort und zur Zeit sowie zum Täter oder zur Täterin. Denn wenn man den Vorfall zur Anzeige bringt, sind das nützliche Informationen. In jedem Fall ist es sinnvoll, die Registerstellen zu informieren. Dadurch wird für solche Vorfälle Sichtbarkeit geschaffen.“ (Kontakt: registerstelle@nusz.de)

*Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. “Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle‚ Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen ‘ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.“ – Quelle: Glossar für Diskriminierungssensible Sprache

Quelle: https://so-gesund.com/gesundheitsschaedlicher-rassismus/

Artikel veröffentlicht bei vogue.de

“Weil Sichtbarkeit das Wichtigste ist”: Wir erkunden zusammen mit unserer Guest Editor Kemi Fatoba in Videos, Fotostrecken und Artikeln, wie Menschen mit Rassismuserfahrungen Deutschland erleben. Zu allen weiteren Artikeln geht es hier.

Laut einem Artikel der New York Times belegen zahlreiche Studien, dass People of Color seltener die richtigen Medikamente erhalten und ihre Dosierungen oft sehr schwach sind, da angenommen wird, dass sie eine höhere Schmerztoleranz als weiße Menschen haben. Schwarze schwangere Frauen in den USA haben eine höhere Sterblichkeitsrate als schwangere weiße Frauen und im Bereich Psychologie werden People of Color häufiger negative Stereotypen zugeschrieben. Obwohl Rassismus und Diskriminierung natürlich auch in Deutschland ein Thema ist, sie die Auswirkungen auf Ärzte hier mehr im Blickfeld als auf die Patienten. Zwar ist das Thema genauso wichtig, die Machtverhältnisse sind jedoch anders.

Zu wissen, dass man die Existenz von Diskriminierungserfahrungen, Othering oder Mikroaggressionen in der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht erklären muss, kann es Ratsuchenden erheblich erleichtern, über ihre Sorgen zu sprechen. Da aber in deutschen Volkszählungen nicht nach Ethnizität oder Race gefragt wird, ist weder bekannt, wieviele Deutsche of Color es tatsächlich gibt, noch wieviele von ihnen Therapieplätze benötigen. Es ist aber anzunehmen, dass der Therapeutenpool sehr klein ist – und abgesehen davon muss ja auch das Spezialgebiet und vor allem die Chemie stimmen. Dinge wie eine ähnliche Herkunft, Rassismuserfahrungen oder der geteilte Kulturkreis können zwar vieles erleichtern, sagen jedoch bei Therapeuten of Color genauso wenig über die tatsächliche Qualität der Therapie aus, wie bei ihren weißen Kollegen.

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Wir haben uns daher mit zwei in Berlin ansässigen Schwarzen Psychologen über ihre Erfahrungen unterhalten, wenn es um Repräsentation im Bereich Mental Health geht und warum es einen Unterschied macht, wenn Therapeuten die Lebensrealität ihrer Klienten nicht nur in der Theorie, sondern auch aufgrund von gelebten Erfahrungen verstehen.

Warum haben Sie sich entschieden, Therapeuten zu werden?

Eben Louw: Die Entscheidung ist durch eine Reihe von Zufällen entstanden. Erst viel später habe ich mich dafür interessiert, welche psychischen Folgen Rassismus haben kann. Im Gesundheitssystem sind Rassismus-Betroffenen darauf angewiesen, dass sie vorurteilsfrei behandelt werden, sodass keine Missverständnisse oder Fehler auftreten – wenn das nicht der Fall ist, könnte es lebensbedrohliche Folgen haben. Das war für mich der ausschlaggebende Moment. Es war nicht nur “Racism kills”, sondern dass Menschen auf eine sehr banale Art und Weise sterben können, weil Vorurteile und Rassismus ihre Behandlung beeinflussen.

Stephanie Cuff: Als ich nach Berlin kam, war ich als Schwarze Psychologin zunächst immer die Ausnahme, was ich aber erstmal nicht bewusst in Frage stellte, da ich es schlichtweg nie anders kennengelernt hatte. Da war wirklich null Repräsentation. Weder im Studium, noch in unzähligen Praktika bin ich jemals mit Psycholog*innen oder Therapeut*innen of Color in Berührung gekommen und es gab auch nie Raum, dies zu thematisieren. Ich erlebe jetzt oft, dass Klient*innen es als Erleichterung empfinden, wenn da jemand ist, der einen erheblichen Teil der Lebensrealität als Person of Color bzw. Schwarze Person in einer vornehmlich weißen Gesellschaft kennt.

Wie steht es um Repräsentation, wenn es um Therapeuten in Berlin geht?

Eben Louw: Wir bekommen sehr viele Anfragen und müssen leider sehr viele Menschen enttäuschen. In den Instituten, wo psychotherapeutische Ausbildung stattfindet, gibt es nur sehr wenige People of Color und häufig nur einen Schwarzen Menschen pro Jahrgang. Ich habe das Gefühl, dass die Möglichkeiten für Diskriminierung bei der Zulassung zur Ausbildung für Psycholog*innen of Color enorm sind. Der Prozess ist nicht transparent und wird auch nicht ausreichend reguliert. In anderen Berufsfeldern gibt es Regelungen, um Diskriminierung einzudämmen aber bei dem Zugang zur psychotherapeutischen Ausbildung ist es sehr willkürlich.

Was halten Sie in Bezug auf Ihre Arbeit von dem Konzept der Farbenblindheit, wenn also jemand sagt, dass Hautfarbe keine Rolle spielt und alle Menschen gleich sind?

Stephanie Cuff: Im ersten Moment verstehe ich die Idee, denn es hört sich nach einer heilen Welt und einem ehrenwerten Motiv an. Implizit steckt aber eine andere Botschaft dahinter, nämlich dass wirklich existierende Lebensrealitäten nicht ernst genommen und marginalisiert werden und deswegen arbeiten wir hier nicht mit diesem Konzept.

Eben Louw: “Race doesn’t exist, but it matters”. Die Hautfarbe oder vermeintliche Herkunft, dort wo die weiße Gesellschaft mich zuschreibt, das muss ich ernst nehmen, weil das Aufschluss darüber gibt, was ich erlebe. Es geht nicht darum, Menschen zu bevorzugen, jeder muss eigentlich nur gesehen werden in seiner Lage. Wir haben häufig das Problem, dass Angehörige von Gewaltopfern an Farbenblindheit glauben. Der traumatische Vorfall war dann in ihren Augen nur ein Zufall, der jedem hätte passieren können. Farbenblindheit ist kontraproduktiv.

Welche Auswirkungen haben Rassismus und Xenophobie auf die Psyche – etwa bei Menschen, die aktivistisch tätig sind?

Eben Louw: Manche Leute bekommen erst durch die rassistische Gewalt, die sie erleben, einen Zugang zum Aktivismus. Sie haben Rassismus vorher nie als Problem erlebt. Diese Menschen sehen Aktivismus dann als eine Art der Bewältigung, gehen auf Demonstrationen und starten bestimmte Initiativen und Projekte. Andere vermeiden es total, mit Schwarzen oder People of Color zu tun zu haben, weil sie eine Zielgruppe für rassistische Gewalt sind. Sie ziehen sich lieber zurück und das ist deren Bewältigungsstrategie. Es ist bekannt, dass Rassismus und Mikroaggressionen nicht nur psychische sondern auch körperliche Folgen haben. Wie auch bei anderen Formen von Diskriminierung bedeutet Rassismus einen Angriff auf den Selbstwert, weil man von den Tätern oder der Gesellschaft durch strukturellen und institutionellen Rassismus konstant entwertet wird. Manche Leute können in diesem Bereich Probleme entwickeln.

Was können Opfer von Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung erwarten, wenn sie zu Ihnen kommen?

Eben Louw: Die Person kann erwarten, dass sie ernst genommen wird in den Viktimisierungsprozessen, die sie durchgemacht hat und dass wir alles tun, um Sekundärviktimisierung zu vermeiden. “Reviktimisierung” bedeutet, dass mir etwas passiert ist und mein unmittelbares Umfeld und die Menschen, die mir helfen sollen, komische Dinge zu mir sagen. Sie nehmen mich nicht ernst, bagatellisieren meine Erlebnisse und ich werde dann zum zweiten Mal zum Opfer. Deutschland ist ein Land, wo ein großer Teil der Gesellschaft die naive Idee im Kopf hat, dass es Rassismus nicht gibt. Leute sagen dann Dinge wie “Das kann doch nicht wahr sein, in Berlin kann es doch keine Nazis geben, die Menschen schlagen”. Aus diesem Grund gibt es im Gesundheitssystem und im Hilfesystem überall Fallen für Sekundärviktimisierung und wir versuchen, dass das bei Opra nicht passiert. Niemand wird hier erleben, dass ihm nicht geglaubt wird.

Zusätzlich zur Opferberatung helfen wir auch bei der Identitätsentwicklung. Manche Leute wissen z.B. nicht dass sie Schwarz sind, sondern verstehen es erst, wenn sie angegriffen werden. Diese Menschen haben dann ein Problem, weil sie plötzlich überall im Alltag Rassismus sehen. Was früher nur nervig war oder gar nicht wahrgenommen wurde – Forscher bezeichnen das als “Mikroaggressionen” – bekommt dann plötzlich eine neue Bedeutung, weil es an den Vorfall oder an traumatische Ereignisse erinnert. Davor wussten diese Menschen vielleicht wegen ihrer Biographie, oder wie sie erzogen wurden, oder weil ihre Eltern sie geschützt haben, nicht was Rassismus war – und jetzt haben sie ein Problem. Sie haben etwas schreckliches erlebt und haben noch dazu mit einer Identitätsentwicklung zu kämpfen. Auch dabei unterstützen wir – wenn es gewollt ist.

Welche Ressourcen gibt es, um Therapeuten of Color zu finden?

Stephanie Cuff: Es gibt einige Facebook-Gruppen und E-Mail Verteiler, in denen Erfahrungen und solche Ressourcen selbstorganisiert durch (B)PoC geteilt und gespeichert werden. Aber leider fehlt vielen Personen das Wissen über oder der Zugang zu derartigen Ressourcen. Meiner Ansicht nach gibt es einen sehr großen Bedarf an Vernetzungsmöglichkeiten und hilfreichen Adressen, der bislang nicht abgedeckt wird. Zumindest in Berlin gibt es Institutionen und Initiativen wie Afropolitan, EOTO, MyUrbanology und andere, die sich bemühen, Therapeut*innen of Color zu rekrutieren um z.B. Empowerment-Gruppen und Workshops zu machen.

Eben Louw: Was jetzt im Internet passiert, ist ja auch eine Art Word of Mouth aber generell sind die Ressourcen eher dezentralisiert. Reach Out, EOTO, die ISD, und der Migrationsrat in Berlin sind z.B. größere Player, die in dieser Hinsicht gut organisiert sind.

In Zusammenhang mit Mental Health wird sehr oft von “Self Care” gesprochen. Welche “Self-Care-Tipps” haben Sie für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind?

Eben Louw: Choose your battles wisely! Bei rassifizierten Menschen wird häufig von der Umgebung erwünscht, dass sie ihre Existenz erklären. Der Fokus im Alltag sollte auf Selbstschutz liegen und nicht darauf, für meine Umgebung Antirassismusarbeit zu leisten, weil es ohnehin oft nicht gewollt ist. Man sollte nur mit den Menschen streiten, die einem auch wichtig sind. Die andere Sache ist, sich von Fremdvalidierung zu befreien, d.h. dass ich nicht von einer weißenMehrheit erwarte, dass sie mich akzeptiert und mir die Botschaft gibt, dass ich okay bin so wie ich bin. Dass ich das also mit meiner Community ausmache oder mit mir selber. Selbstvalidierung ist für Betroffene von Rassismus total wichtig.

Bei Aktivisten, die sich stark mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen, besteht auch das Risiko der Self-Inoculation, also dass man sich immer wieder mit traumatischen Erlebnissen rund um Rassismus auseinandersetzt. Dadurch kann es passieren, dass man sekundär traumatisiert wird und eine kollektive Belastung erfährt. Wenn man sich das selbst immer wieder antut weil man sich Dinge wie Police Shootings ständig im Internet ansieht, erlebt mach die Welt dadurch noch bedrohlicher, als sie für Schwarze Menschen und für People of Color ohnehin ist. Als Aktivist kann ich hier Verantwortung übernehmen und mein Leben auch mit schönen Dingen füllen, damit ich auch meine eigenen “Safe Spaces” kreiere.

Welche Erlebnisse sind Ihnen als Therapeuten besonders positiv in Erinnerung geblieben?

Stephanie Cuff: Ich erinnere mich gerne an meinen ersten Fall bei Opra zurück. Eine junge Frau of Color mit einer weißen deutsche Mutter und einem Schwarzen Vater hat mit ihrer Identität gerungen. Sie war in der Schwarzen Community aktiv und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, dass sie von Weißen so viel Rassismus erlebte und trotzdem einen weißen Partner gewählt hat. Wir haben über die Identität von Afrodeutschen gesprochen, wo ja ganz viele ein weißes Elternteil haben und dass in dem Moment, wo man versucht, das zu unterdrücken, man auch einen wesentlichen Anteil von sich selbst nicht mehr leben lässt. Natürlich wirst du von einer weißen Mehrheitsgesellschaft und dann noch von deiner weißen Familie geprägt – in deinen Werthaltungen, in deinem Benehmen etc. – und das gehört genauso dazu wie wie das Schwarzsein und der Prozess des Schwarzseins. Darüber haben wir uns sehr oft unterhalten und das war eine sehr schöne Begegnung weil ich gemerkt habe, dass sie sehr gestärkt herausgegangen ist und gemerkt hat, dass sie sich keinen Regeln unterwerfen muss.

Eben Louw: Das schönste Erlebnis war mit einem meiner ersten Ratsuchenden, der über einem Zeitraum von 2 Jahren an einer Gruppentherapie teilnahm. Ein junger Mann aus einem westafrikanischen Land, der in Ausbildung war und mit Alltagsrassismus schwer umgehen konnte, kam nach einem Angriff zu uns, weil er lernen wollte, damit besser umzugehen. Nach einiger Zeit hat er in der Gruppe von einem Erlebnis erzählt, wo er mit seiner weißen Freundin in der U-Bahn war und ihn ein weißer Mann rassistisch beleidigt hat. Er ist gar nicht darauf eingegangen, sondern hat dem Mann nur gesagt: “Berlin ist mein zuhause und ich fühle mich hier wohl. Ich habe heute einen schönen Tag und lasse ihn mir von dir nicht versauen. Wenn dir das nicht passt, dann geh doch woanders hin.” Dann hat er dem Mann den Rücken zugedreht und ist weggegangen, ohne sich auf einen Konflikt einzulassen. Er hat dann erzählt, dass die anderen Fahrgäste diesem Mann ebenfalls gesagt haben, dass er woanders hingehen soll. Einige haben auch applaudiert. Für ihn war das ein Erfolgserlebnis – und auch für mich weil ich gemerkt habe, dass eine Rassismus-sensible Beratung und Therapie total dabei hilft, wie man mit Alltagsrassismus umgeht. Dass man sich wehren kann ohne dass es einen währenddessen oder danach belastet. Es hat mir auch das Gefühl gegeben, dass es etwas bringt, sich als Therapeut damit zu beschäftigen.

Eben Louw, (MSc. Psychologe, HP. Psych) ist Heilpraktiker für Psychotherapie, Systemischer Therapeut (SG), BSc (hons.) Psychology, MSc Health Psychology, Dipl. Med. Tech. Er ist seit 2008 als Psychologe in der Beratungsstelle “Opra” für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt tätig.

Stephanie Cuff, (Dipl. Psych.) ist seit 2016 als Psychologin in der Beratungsstelle “Opra” für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt tätig. Sie betreibt außerdem die Plattform My Urbanology, die sich zum Ziel gesetzt hat, Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland zu vernetzen und sichtbarer zu machen.

Zum Sprachgebrauch:

Person of Color (Plural: People of Color, abgekürzt als PoC) ist eine politische Selbstbezeichnung für Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weißangesehen werden und wegen ethnischen und/ oder rassistischen Zuschreibungen von Rassismus betroffen sind. Der Begriff wird in abgewandelter Form auch für Frauen (Women of Color, WoC), Männer (Men of Color, MoC) oder Berufsgruppen (z.B. Artists of Color) verwendet.

Schwarze Menschen ist ebenfalls eine Selbstbezeichnung und wird groß geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es beim Schwarzsein um die Verbundenheit aufgrund gemeinsamer Rassismuserfahrungen und der Art und Weise, wie man wahrgenommen wird, geht.

Weiß und Weißsein bezeichnen ebenso wie Schwarzsein keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft.

Quelle: https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/reprasentation-und-seelische-gesundheit-race-doesnt-exist-but-it-matters

Artikel veröffentlicht bei rechtsaussen.berlin

Kinder und Jugendliche, welche von der Mehrheitsgesellschaft der Gruppe der ndH (nicht deutsche Herkunftssprache) zugerechnet werden und als ‚nicht so wie wir‘ und/oder als ,nicht deutsch‘ markiert werden, sind oftmals in den verschiedensten Kontexten von rassistisch oder antisemitisch motivierter Diskriminierung und Gewalt betroffen. Erwachsene Männer und Frauen scheuen nicht davor zurück, am helllichten Tag aus rassistischen oder antisemitischen Motiven gegen Kinder und Jugendliche gewaltsam vorzugehen. Gleichermaßen werden Kinder und Jugendliche oft Zeug*innen von Angriffen, die ihren Familienmitgliedern oder Freunden gelten, was von den Kindern und Jugendlichen als nicht weniger belastend erlebt wird.

Insbesondere deshalb, weil sich ein Großteil dieser Taten gegen Kinder und Jugendliche in ihren alltäglichen und als sicher empfundenen Räumen ereignen, wie beispielsweise auf Spielplätzen, an Bushaltestellen oder in Kaufhäusern. Rassistisch oder antisemitisch motiviertes Mobbing (beispielsweise ausgeschlossen werden, beschimpft werden, geschlagen werden) erleben die Kinder und Jugendlichen zudem häufig in den Institutionen, in denen sie sich täglich bewegen, wie in Schulen, im Hort und in Kitas. Insbesondere im Kontext von Schule und Kita werden rassistisch motivierte Diskriminierungen und Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen jedoch oftmals nicht erkannt und als harmlose Streitereien bagatellisiert, so dass die Opfer oft über Jahre Anfeindungen, Erniedrigungen und Gewalt ausgesetzt sind und keine Hilfe erfahren. Unabhängig davon in welchen Kontexten Kinder und Jugendliche von rassistisch oder antisemitisch motivierten Diskriminierungen und Angriffen betroffen sind, so stellen sie für die Betroffenen meist einschneidende Erfahrungen dar, die ihr Grundvertrauen in die Umwelt, in die darin lebenden Menschen und in sich selbst meist grundlegend erschüttern.

Beispielsituationen aus der Chronik rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe auf Kinder und Jugendliche in Berlin 2018 (Quelle: Pressekonferenz ReachOut 2019):

11. September 2018, Berlin-Neukölln
Gegen 0.40 Uhr wird im Kinder- und Jugendhilfezentrum im Girlitzweg in Buckow der Vorhang in dem Zimmer eines 15-jährigen, geflüchteten Jugendlichen in Brand gesteckt. Einige Stunden vorher wurde der 15-Jährige rassistisch beleidigt und attackiert.

10. September 2018, Berlin-Neukölln
Ein 15-jähriger Jugendlicher, der in Begleitung von zwei Freunden ist, wird gegen 19.10 Uhr in der Rudower Straße in Buckow von einem unbekannten Mann rassistisch beleidigt und ihm wird eine Bierflasche in den Rücken geworfen.

26. August 2018, Berlin-Treptow
Ein 34-jähriger Mann, der gegen 18.20 Uhr in Begleitung seiner Frau und drei Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren in der Florian-Geyer-Straße unterwegs ist, wird von einem unbekannten Mann aus rassistischer Motivation beleidigt. Ein Zeuge greift ein, als der Unbekannte den Hund auf die Familie hetzt.

Folgen für die Betroffenen

Betrachtet man die Folgen solcher Erfahrungen, ist es sinnvoll, zunächst eine Unterscheidung zwischen einmaligen und über längere Zeit andauernden oder sich wiederholenden Erlebnissen zu treffen. Plötzliche Angriffe, wie Schläge durch einen fremden Erwachsenen auf dem Spielplatz beispielsweise, rufen meistens eine unmittelbare Erschütterung des Urvertrauens und der subjektiv erlebten Sicherheit hervor. Erleben die Betroffenen zudem, dass auch die sonst als ‚beschützend‘ erlebten Aufsichtspersonen sie nicht beschützen konnten oder noch schlimmer, selbst auch Ziele des Angriffes wurden, reagieren Kinder und Jugendliche oftmals mit einer Reihe an Symptomen, die erst einmal als normale Reaktionen auf überwältigende Umstände interpretiert werden können. In Bedrohungssituationen reagiert der menschliche Organismus mit neuronaler Erregung und der Mobilisierung des Selbstschutzsystems, welches uns dazu befähigen soll zu kämpfen oder zu fliehen. Je nach Alter der Kinder und Jugendlichen reichen die zur Verarbeitung solch überwältigender Erlebnisse zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen nicht aus, so dass die in der Bedrohungssituation entstandene neuronale (Über-) Erregung und die damit einhergehenden körperlichen Reaktionen, nicht ausreichend abgebaut werden können.

Die Auswirkungen länger andauernder und sich wiederholender Erlebnisse, wie es beispielsweise beim rassistischen und antisemitischen Mobbing in der Schule der Fall ist, lassen sich oft nicht leicht erkennen, da die Kinder und Jugendlichen oftmals Scham empfinden oder glauben das Verhalten ihnen gegenüber sei gerechtfertigt.

Der Überschuss an neuronaler Erregungsenergie kann sich, sofern er nicht durch spezifische und zielgerichtete Unterstützung z.B. durch Bezugspersonen abgebaut werden kann, zu traumatischem Stress auswachsen, welcher in einer Reihe von belastenden Symptomen und Verhaltensweisen Ausdruck finden kann. Wie sich eventuell entstandene Belastungen identifizieren und interpretieren lassen, unterscheidet sich dabei sehr im Hinblick auf das Alter der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Äußert sich traumatischer Stress beispielsweise bei Klein- und Vorschulkindern in Hyperaktivität, Wutausbrüchen, Lethargie, Regression auf frühere Entwicklungsstufen oder im ständigen Nachspielen des traumatischen Ereignisses, so lässt sich hingegen bei Jugendlichen beobachten, dass sie nach solch einschneidenden Erlebnissen oftmals eine verminderte Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit zeigen, unter depressiven oder psychosomatische Symptome leiden und vermehrt zu Verhaltensweisen wie Rückzug, Suchtmittelmissbrauch oder Aggression neigen.

Die Auswirkungen länger andauernder und sich wiederholender Erlebnisse, wie es beispielsweise beim rassistischen und antisemitischen Mobbing in der Schule der Fall ist, lassen sich oft nicht leicht erkennen, da die Kinder und Jugendlichen oftmals Scham empfinden oder glauben das Verhalten ihnen gegenüber sei gerechtfertigt. Erfahren sie zudem, dass sie sich vertrauensvoll an Aufsichtspersonen gewandt haben, diese aber ihre Schilderungen anders interpretieren oder bagatellisieren, finden viele Kinder und Jugendliche nicht den Mut, sich mit ihren Erfahrungen erneut an jemanden zu wenden. Im Beratungssetting berichteten die Betroffenen beispielsweise davon, dass sogar manchmal eine Opferumkehr stattgefunden habe, indem gegen sie der Vorwurf erhoben worden sei, durch ihre Verhaltensweisen selbst solche Handlungen provoziert zu haben. Dabei verstärkt besonders die nicht erfahrene Unterstützung die Gefühle der Existenzbedrohung, welche durch Gefühle der Hilflosigkeit, des Entsetzens und oftmals auch der (Todes-)Angst begleitet werden. Schulunlust, Schulangst, aggressives Verhalten und depressive Symptome wurden als Folgen solcher Situationen durch die Betroffenen oder durch die Eltern der Betroffenen beschrieben.

Was kann betroffenen Kindern und Jugendlichen helfen?

Zunächst ist es wichtig anzuerkennen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen Erfahrungen machen mussten, die nicht akzeptabel sind und die transparent und ihren Motiven nach beim Namen genannt werden müssen. Im Rahmen der Psychoedukation, in welcher den Angehörigen und den Betroffenen erklärt wird, wie der psychische Apparat auf belastende Ereignisse reagiert, ist es besonders wichtig zu betonen und anzuerkennen, dass ihr nach so einschneidenden Erfahrungen gezeigtes Verhalten und die Palette ihrer Gefühlsreaktionen eine normale Reaktion auf ein oder mehrere unnormale Ereignisse darstellt. Dabei ist es eine grundlegende Voraussetzung für eine alters- und bedürfnisorientierte Beratung zu eruieren, wie sich Belastungen bei dem betreffenden Kind oder dem/der Jugendlichen überhaupt äußern. Dabei sind vor allem die Verhaltensbeobachtungen nahestehender Personen von Bedeutung, aber je nach Alter und Ausdrucksmöglichkeiten können und sollten die Kinder und Jugendlichen selbst Raum finden ihre Gefühle zu beschreiben. Wie eine konkrete bedürfnisorientierte Unterstützung der Kinder und Jugendlichen konkret ausgestaltet werden kann, ist sehr vom Alter und der kognitiven Entwicklung abhängig. Vereinfacht gesagt geht es aber vornehmlich darum, mittels Informationsvermittlung und konkreter Interventionen wieder Ruhe ins System zu bringen. Das neuronale Erregungslevel muss runter fahren, das heißt Körper und Psyche müssen wieder das Vertrauen darin zurück gewinnen, dass der/die Betroffene wieder in Sicherheit ist. Eltern können ihre Kinder unterstützen, indem sie die seit dem Ereignis auftretenden Verhaltensveränderung erst einmal annehmen und den Blick darauf richten, dem Kind oder Jugendlichen Sicherheit zu vermitteln. Neben körperlicher Zuwendung, erklärenden und stärkenden Gesprächen, auch mittels altersangemessener Literatur zu den Themen Identität, Rassismus, Mobbing etc., kann das auch bedeuten, das Kind dazu zu ermutigen, gemeinsam eine Beratungsstelle wie beispielsweise KiDs („Kinder vor Diskriminierung schützen!“), OPRA, EOTO und/oder ReachOut aufzusuchen. Mittlerweile gibt es auch durch verschiedene Träger explizit für betroffene Kinder und Jugendliche entwickelte Workshops, in welchen sich (potentiell) betroffene Kinder und Jugendliche miteinander vernetzen und unter Anleitung gemeinsam Handlungsoptionen ausarbeiten. So hat ReachOut beispielsweise, gemeinsam mit KiDs und OPRA, schon seit 2017 eine Reihe an Workshops für betroffene Kinder- und Jugendliche und im Anschluss für deren Eltern konzipiert, welche durch die Teilnehmer*innen als sehr unterstützend erlebt wurden. Durch eine starke Vernetzung in den sozialen Medien, gibt es mittlerweile auch eine Reihe an Onlinegruppen, in welchen sich Betroffene und deren Angehörige austauschen und stärken.

Fanden die Erlebnisse im institutionellen Kontext wie etwa Schule, Kita oder Verein statt, ist es für die Betroffenen essentiell auch bezüglich der rassistischen oder antisemitischen Diskriminierungen, die sie erleben mussten, ernst genommen werden. Ein Sicherheits- bzw. Schutzkonzept, das sich daraus ableitet, müssen die Betroffenen nachvollziehen und verstehen können. Es geht darum, ihr Gefühl von Sicherheit zurück zu bekommen. Insbesondere einem einfühlsamen Umgang der Lehrkräfte als primäre Bindungspersonen im schulischen Alltag kommt eine besondere Funktion zu. Solidarität und Anerkennung durch die Lehrkräfte und ein altersgerechtes Einbeziehen und Mitwirken der Betroffenen als auch der Gruppe (Klasse, Verein), in welcher solche Erfahrungen gemacht wurden, ist für die Betroffenen oftmals ein wichtiger Faktor, um das Gefühl der Hilflosigkeit zu schmälern und das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhöhen.

Eine der Fragen, die uns als Beratungsstelle immer wieder gestellt wird, ist, was das Wichtigste sei im Umgang mit Betroffenen. Die Antwort fällt meist simpel aus, auch wenn dahinter eine riesige Dimension zu stecken scheint: Wenn man sich den Betroffenen mit einem offenen Ohr zuwendet und sich nicht automatisch durch Schuldgefühle und Ängste in eine Abwehrhaltung begibt, ist schon sehr viel geholfen und erreicht!


Das Projekt OPRA (Psychologische Beratung für Opfer rechter, rassistischer & antisemitischer Gewalt) berät als psychologische Opferberatungsstelle seit dem Jahre 2003 unter der Trägerschaft von ARIBA e.V. Opfer von rassistisch, rechts und antisemitisch motivierten Straftaten, sowie deren Angehörige. Ziel ist es, eine niedrigschwellige, psychologisch fundierte, kurz- und mittelfristige als auch traumazentrierte Opferberatung für die genannten Opfergruppen anzubieten. Es geht darum, der Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Langzeitfolgen aufgrund derartiger Gewalttaten entgegen zu wirken.

Quelle: https://rechtsaussen.berlin/2019/07/rassismus-gegen-kinder-und-jugendliche-eine-analyse-aus-psychologischer-sicht/

Artikel veröffentlicht bei so-gesund.com

Rassismus ist laut Grundgesetz verboten. Trotzdem gehört er für viele Menschen zum Alltag und schadet auch gesundheitlich. Ein Interview.

Frau Cuff-Schöttle, Sie arbeiten in Berlin als psychologische Beraterin und Therapeutin und beschäftigen sich unter anderem mit den Auswirkungen von rassistischen Erfahrungen auf die seelische und körperliche Gesundheit. Welche alltagsrassistischen Äußerungen sind weit verbreitet?
Beispielsweise die Aussage “Sie können aber gut Deutsch!”. Das ist zwar oft nett gemeint, kommt aber oftmals mit der unterschwelligen Botschaft beim Empfänger an: “Sie können keiner oder keine von UNS sein”. Außerdem: “Sie sind die Ausnahme! Andere Ihrer Art sind weniger pfiffig!” Genauso gibt es Alltagsrassismus auf nonverbaler Ebene. Etwa, wenn im Bus die Handtasche plötzlich fester gehalten wird, wenn ich mich dazu setze. Wenn ich beim Bäcker stehe, und alle werden angelacht, aber sobald ich an der Reihe bin, geht die Mimik nach unten. Oder bei der Wohnungssuche ist mit hoher Sicherheit klar, dass ich die Wohnung nicht bekomme, wenn neben mir ein deutsches, weißes Pärchen steht.

Inwiefern ist Ihnen selbst Alltagsrassismus bekannt?
Es gibt ein interessantes Konzept von dem Psychoanalytiker Fakhry Davids, das meine alltägliche Erfahrung ganz gut beschreibt. In diesem Konzept geht es um die sogenannte innere rassistische Organisation bei Menschen. Diese führt laut Davis dazu, dass Stereotype in die Menschen projiziert werden, die man beispielsweise aufgrund eines anderen Hauttons nicht als zugehörig zur eigenen Gruppe erlebt. Also, wenn ich als Schwarze Frau* gut tanzen und singen kann, viel lache oder aber auch die temperamentvolle Exotin bin, ecke ich selten an, bekomme sogar oft Zuspruch. Wenn ich mit meinem Auftreten und meinem Verhalten von der Erwartung jedoch abweiche, wird es schon schwieriger.

Zum Beispiel?
Letztens war ich auf einer Fortbildung. Dort sprach mich ein Therapeut an und sagte lachend, er sei über meine Anwesenheit im Fortbildungsseminar verwundert und habe sogar vergessen, dass ich am ersten Tag auch schon teilgenommen habe, weil er Schwarze Menschen eher als Exoten und erotische Geschöpfe abgespeichert habe. Auf einer Veranstaltung über Diagnostikverfahren würde er sie einfach nicht erwarten. Ich denke, er wollte eigentlich seiner Bewunderung Ausdruck verleihen, aber solche Situation sind bezeichnend. Ich musste sofort daran denken, wie nah die Wirklichkeit an Fakhry Davids Idee ist.

Inwiefern können sich rassistische Diskriminierung und rassistische Gewalt auf die Gesundheit der Betroffenen auswirken?
Viele Menschen, die täglich mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert werden, erleben das als sehr belastend. Sie berichten von chronischer innerer Angespanntheit, großer Wut, Hilflosigkeit und der Angst vor bestimmten sozialen Situationen. Dies wirkt sich natürlich auch körperlich aus, beispielsweise in Form von Schlafstörungen oder körperlichen Schmerzen, die oft nicht in Zusammenhang zu körperlichen Erkrankungen stehen. Es gibt eine Reihe an Symptomen, die im Zuge von sogenanntem ‘race-related stress’ entstehen können. Potenziert sich dieser Stress oder kommt das Erleben rassistischer Gewalt hinzu, geht dies zudem oftmals mit der Entwicklung von Traumafolgestörungen einher.

Gibt es hierzu Studien?
Leider viel zu wenige aus dem deutschsprachigen Raum. Aber Amma Yeboah, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, beschreibt in einem Überblicksessay den Zusammenhang von Rassismus und Stress und Rassismus und Trauma. Bei den Studien zeigt sich: Wer wiederholt mit Rassismus konfrontiert wird, ist unter Umständen sehr gestresst. Und die Stressreaktionen können wiederum das Entstehen von Depressionen und Angststörungen begünstigen. Und sie bringen möglicherweise auch ein erhöhtes Risiko für Psychosen mit sich. Im englischsprachigen Raum gibt es dazu deutlich mehr Forschung und Belege. Der Psychologe Robert T. Carter von der Columbia University fasst verschiedene Studien zusammen, die belegen, dass Rassismus ähnliche Effekte auf die psychische und emotionale Gesundheit der Betroffenen haben kann wie sexuelle Gewalt oder andere traumatische Erlebnisse.

Aus Forschung zum Dritten Reich ist bekannt, dass Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden.
Ja. Ich beobachte häufig, dass von rassistischer Diskriminierung und -Gewalt betroffene Eltern oftmals sehr belastet sind und unter enormen Druck stehen. Sie geben diesen Druck natürlich an ihre Kinder weiter.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Ich habe beispielsweise eine Schwarze deutsche Mutter beraten, deren Sohn in der Schule rassistisches Mobbing erlebt hat. Durch dieses Erlebnis wurde die Mutter an eigene Erlebnisse mit rassistischer Diskriminierung im Kind- und Jugendalter erinnert. Ihre damals gespürte Scham, Hilflosigkeit und Angst wurden reaktiviert. Sie hatte sich im Laufe der Jahre zwar Strategien erarbeitet, die es ihr erlaubten, mit der eigenen Diskriminierungserfahrungen umzugehen. Aber durch die Betroffenheit ihres Kindes hatte sie dazu plötzlich keinen Zugang mehr. Die Mutter war traurig und fühlte sich sehr schuldig.

Wie hat sich das sich das Erleben der Mutter auf den Sohn übertragen?
Die Mutter wurde strenger und gab ihrem Sohn ungewollt das Gefühl, dass er das Mobbing möglicherweise verhindern könne, wenn er sich nur angepasster verhalten würde. Sie wusste natürlich, dass das so nicht stimmt. Aber im Gespräch kristallisierte sich heraus, dass sie selbst früh beigebracht bekommen hatte, dass man sich als Schwarzes Mädchen unauffällig, leiser, angepasster, moralisch korrekter und fleißiger zu benehmen hat. Und diese Muster wurde durch die Erfahrungen mit ihrem Kind wieder voll aktiviert.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Spirale von Anpassungsdruck?
Das, was andere Menschen an uns herantragen und in uns sehen wollen, lässt sich nicht einfach abstellen. Aber meine Klientinnen und Klienten empfinden den Austausch über das Erlebte oftmals als sehr entlastend. Indem wir in den Gesprächen den Rassismus und seine Wirkmechanismen auf Psyche und Körper als größeres Phänomen betrachten, schaffen wir es, von dem Gefühl wegzukommen, dass man selbst als Einzelperson das Problem ist oder nur man selbst dieses Problem hat. Wir schauen uns auch gemeinsam die eigenen Grundannahmen an und besprechen dann, welche Haltung und welche Reaktionen man entwickeln möchte, um sich und seine Liebsten zu stärken und durch das Fahrwasser des Alltagsrassismus besser hindurch zu kommen. Es gibt auch im Internet mittlerweile einige Möglichkeiten, sich online mit Menschen zu vernetzen, die Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung gemacht haben und die sich gegenseitig durch Tips und Informationen unterstützen.

Sie habend die virtuelle Online-Plattform MyUrbanology.de gegründet und wurden für den Health-i Award von dem Handelsblatt und der Techniker-Krankenkasse nominiert.
Genau. Meine Mitgründerin Alina Hodzode und ich haben mit MyUrbanology.de eine Onlineplattform ins Leben gerufen mit dem Ziel, Vorbilder, psychosoziale Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten sichtbarer zu machen. Dabei haben wir uns zunächst an den Menschen, Wohlfühlorten und Angeboten orientiert, die uns als Schwarze deutsche Frauen selbst ansprechen und uns stärken.

Was kann man tun, wenn man im Alltag rassistische Bemerkungen mitbekommt – auch wenn man selbst nicht Empfänger dieser rassistischen Nachricht ist?
Auf Empfehlung der Berliner Registerstellen, die diskriminierend motivierte Vorfälle sammeln, analysieren und Alltagsdiskriminierungen sichtbar machen, gibt eine ganze Reihe von Dingen die man tun, kann wenn man Zeuge von Angriffen oder Diskriminierungen wird (siehe Kasten). Ein erster Schritt ist allerdings, sich dafür erst einmal für das Problem zu sensibilisieren, damit man in solchen Situationen überhaupt handlungsfähig ist.

Wie verhalte ich mich am besten, wenn ich mitbekomme, dass jemand Opfer von Rassismus wird?

Stephanie Cuff-Schöttle: „Es ist wichtig, die Situation nicht runterzuspielen und zu handeln. Beispielsweise kann man Hilfe holen oder andere Menschen, die anwesend sind, aktiv als Zeugen mit einbeziehen. Außerdem kann es hilfreich sein, sich Notizen zur Situation zu machen, also zum Ort und zur Zeit sowie zum Täter oder zur Täterin. Denn wenn man den Vorfall zur Anzeige bringt, sind das nützliche Informationen. In jedem Fall ist es sinnvoll, die Registerstellen zu informieren. Dadurch wird für solche Vorfälle Sichtbarkeit geschaffen.“ (Kontakt: registerstelle@nusz.de)

*Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. “Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle‚ Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen ‘ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.“ – Quelle: Glossar für Diskriminierungssensible Sprache

Quelle: https://so-gesund.com/gesundheitsschaedlicher-rassismus/

Artikel veröffentlicht bei vogue.de

“Weil Sichtbarkeit das Wichtigste ist”: Wir erkunden zusammen mit unserer Guest Editor Kemi Fatoba in Videos, Fotostrecken und Artikeln, wie Menschen mit Rassismuserfahrungen Deutschland erleben. Zu allen weiteren Artikeln geht es hier.

Laut einem Artikel der New York Times belegen zahlreiche Studien, dass People of Color seltener die richtigen Medikamente erhalten und ihre Dosierungen oft sehr schwach sind, da angenommen wird, dass sie eine höhere Schmerztoleranz als weiße Menschen haben. Schwarze schwangere Frauen in den USA haben eine höhere Sterblichkeitsrate als schwangere weiße Frauen und im Bereich Psychologie werden People of Color häufiger negative Stereotypen zugeschrieben. Obwohl Rassismus und Diskriminierung natürlich auch in Deutschland ein Thema ist, sie die Auswirkungen auf Ärzte hier mehr im Blickfeld als auf die Patienten. Zwar ist das Thema genauso wichtig, die Machtverhältnisse sind jedoch anders.

Zu wissen, dass man die Existenz von Diskriminierungserfahrungen, Othering oder Mikroaggressionen in der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht erklären muss, kann es Ratsuchenden erheblich erleichtern, über ihre Sorgen zu sprechen. Da aber in deutschen Volkszählungen nicht nach Ethnizität oder Race gefragt wird, ist weder bekannt, wieviele Deutsche of Color es tatsächlich gibt, noch wieviele von ihnen Therapieplätze benötigen. Es ist aber anzunehmen, dass der Therapeutenpool sehr klein ist – und abgesehen davon muss ja auch das Spezialgebiet und vor allem die Chemie stimmen. Dinge wie eine ähnliche Herkunft, Rassismuserfahrungen oder der geteilte Kulturkreis können zwar vieles erleichtern, sagen jedoch bei Therapeuten of Color genauso wenig über die tatsächliche Qualität der Therapie aus, wie bei ihren weißen Kollegen.

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Wir haben uns daher mit zwei in Berlin ansässigen Schwarzen Psychologen über ihre Erfahrungen unterhalten, wenn es um Repräsentation im Bereich Mental Health geht und warum es einen Unterschied macht, wenn Therapeuten die Lebensrealität ihrer Klienten nicht nur in der Theorie, sondern auch aufgrund von gelebten Erfahrungen verstehen.

Warum haben Sie sich entschieden, Therapeuten zu werden?

Eben Louw: Die Entscheidung ist durch eine Reihe von Zufällen entstanden. Erst viel später habe ich mich dafür interessiert, welche psychischen Folgen Rassismus haben kann. Im Gesundheitssystem sind Rassismus-Betroffenen darauf angewiesen, dass sie vorurteilsfrei behandelt werden, sodass keine Missverständnisse oder Fehler auftreten – wenn das nicht der Fall ist, könnte es lebensbedrohliche Folgen haben. Das war für mich der ausschlaggebende Moment. Es war nicht nur “Racism kills”, sondern dass Menschen auf eine sehr banale Art und Weise sterben können, weil Vorurteile und Rassismus ihre Behandlung beeinflussen.

Stephanie Cuff: Als ich nach Berlin kam, war ich als Schwarze Psychologin zunächst immer die Ausnahme, was ich aber erstmal nicht bewusst in Frage stellte, da ich es schlichtweg nie anders kennengelernt hatte. Da war wirklich null Repräsentation. Weder im Studium, noch in unzähligen Praktika bin ich jemals mit Psycholog*innen oder Therapeut*innen of Color in Berührung gekommen und es gab auch nie Raum, dies zu thematisieren. Ich erlebe jetzt oft, dass Klient*innen es als Erleichterung empfinden, wenn da jemand ist, der einen erheblichen Teil der Lebensrealität als Person of Color bzw. Schwarze Person in einer vornehmlich weißen Gesellschaft kennt.

Wie steht es um Repräsentation, wenn es um Therapeuten in Berlin geht?

Eben Louw: Wir bekommen sehr viele Anfragen und müssen leider sehr viele Menschen enttäuschen. In den Instituten, wo psychotherapeutische Ausbildung stattfindet, gibt es nur sehr wenige People of Color und häufig nur einen Schwarzen Menschen pro Jahrgang. Ich habe das Gefühl, dass die Möglichkeiten für Diskriminierung bei der Zulassung zur Ausbildung für Psycholog*innen of Color enorm sind. Der Prozess ist nicht transparent und wird auch nicht ausreichend reguliert. In anderen Berufsfeldern gibt es Regelungen, um Diskriminierung einzudämmen aber bei dem Zugang zur psychotherapeutischen Ausbildung ist es sehr willkürlich.

Was halten Sie in Bezug auf Ihre Arbeit von dem Konzept der Farbenblindheit, wenn also jemand sagt, dass Hautfarbe keine Rolle spielt und alle Menschen gleich sind?

Stephanie Cuff: Im ersten Moment verstehe ich die Idee, denn es hört sich nach einer heilen Welt und einem ehrenwerten Motiv an. Implizit steckt aber eine andere Botschaft dahinter, nämlich dass wirklich existierende Lebensrealitäten nicht ernst genommen und marginalisiert werden und deswegen arbeiten wir hier nicht mit diesem Konzept.

Eben Louw: “Race doesn’t exist, but it matters”. Die Hautfarbe oder vermeintliche Herkunft, dort wo die weiße Gesellschaft mich zuschreibt, das muss ich ernst nehmen, weil das Aufschluss darüber gibt, was ich erlebe. Es geht nicht darum, Menschen zu bevorzugen, jeder muss eigentlich nur gesehen werden in seiner Lage. Wir haben häufig das Problem, dass Angehörige von Gewaltopfern an Farbenblindheit glauben. Der traumatische Vorfall war dann in ihren Augen nur ein Zufall, der jedem hätte passieren können. Farbenblindheit ist kontraproduktiv.

Welche Auswirkungen haben Rassismus und Xenophobie auf die Psyche – etwa bei Menschen, die aktivistisch tätig sind?

Eben Louw: Manche Leute bekommen erst durch die rassistische Gewalt, die sie erleben, einen Zugang zum Aktivismus. Sie haben Rassismus vorher nie als Problem erlebt. Diese Menschen sehen Aktivismus dann als eine Art der Bewältigung, gehen auf Demonstrationen und starten bestimmte Initiativen und Projekte. Andere vermeiden es total, mit Schwarzen oder People of Color zu tun zu haben, weil sie eine Zielgruppe für rassistische Gewalt sind. Sie ziehen sich lieber zurück und das ist deren Bewältigungsstrategie. Es ist bekannt, dass Rassismus und Mikroaggressionen nicht nur psychische sondern auch körperliche Folgen haben. Wie auch bei anderen Formen von Diskriminierung bedeutet Rassismus einen Angriff auf den Selbstwert, weil man von den Tätern oder der Gesellschaft durch strukturellen und institutionellen Rassismus konstant entwertet wird. Manche Leute können in diesem Bereich Probleme entwickeln.

Was können Opfer von Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung erwarten, wenn sie zu Ihnen kommen?

Eben Louw: Die Person kann erwarten, dass sie ernst genommen wird in den Viktimisierungsprozessen, die sie durchgemacht hat und dass wir alles tun, um Sekundärviktimisierung zu vermeiden. “Reviktimisierung” bedeutet, dass mir etwas passiert ist und mein unmittelbares Umfeld und die Menschen, die mir helfen sollen, komische Dinge zu mir sagen. Sie nehmen mich nicht ernst, bagatellisieren meine Erlebnisse und ich werde dann zum zweiten Mal zum Opfer. Deutschland ist ein Land, wo ein großer Teil der Gesellschaft die naive Idee im Kopf hat, dass es Rassismus nicht gibt. Leute sagen dann Dinge wie “Das kann doch nicht wahr sein, in Berlin kann es doch keine Nazis geben, die Menschen schlagen”. Aus diesem Grund gibt es im Gesundheitssystem und im Hilfesystem überall Fallen für Sekundärviktimisierung und wir versuchen, dass das bei Opra nicht passiert. Niemand wird hier erleben, dass ihm nicht geglaubt wird.

Zusätzlich zur Opferberatung helfen wir auch bei der Identitätsentwicklung. Manche Leute wissen z.B. nicht dass sie Schwarz sind, sondern verstehen es erst, wenn sie angegriffen werden. Diese Menschen haben dann ein Problem, weil sie plötzlich überall im Alltag Rassismus sehen. Was früher nur nervig war oder gar nicht wahrgenommen wurde – Forscher bezeichnen das als “Mikroaggressionen” – bekommt dann plötzlich eine neue Bedeutung, weil es an den Vorfall oder an traumatische Ereignisse erinnert. Davor wussten diese Menschen vielleicht wegen ihrer Biographie, oder wie sie erzogen wurden, oder weil ihre Eltern sie geschützt haben, nicht was Rassismus war – und jetzt haben sie ein Problem. Sie haben etwas schreckliches erlebt und haben noch dazu mit einer Identitätsentwicklung zu kämpfen. Auch dabei unterstützen wir – wenn es gewollt ist.

Welche Ressourcen gibt es, um Therapeuten of Color zu finden?

Stephanie Cuff: Es gibt einige Facebook-Gruppen und E-Mail Verteiler, in denen Erfahrungen und solche Ressourcen selbstorganisiert durch (B)PoC geteilt und gespeichert werden. Aber leider fehlt vielen Personen das Wissen über oder der Zugang zu derartigen Ressourcen. Meiner Ansicht nach gibt es einen sehr großen Bedarf an Vernetzungsmöglichkeiten und hilfreichen Adressen, der bislang nicht abgedeckt wird. Zumindest in Berlin gibt es Institutionen und Initiativen wie Afropolitan, EOTO, MyUrbanology und andere, die sich bemühen, Therapeut*innen of Color zu rekrutieren um z.B. Empowerment-Gruppen und Workshops zu machen.

Eben Louw: Was jetzt im Internet passiert, ist ja auch eine Art Word of Mouth aber generell sind die Ressourcen eher dezentralisiert. Reach Out, EOTO, die ISD, und der Migrationsrat in Berlin sind z.B. größere Player, die in dieser Hinsicht gut organisiert sind.

In Zusammenhang mit Mental Health wird sehr oft von “Self Care” gesprochen. Welche “Self-Care-Tipps” haben Sie für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind?

Eben Louw: Choose your battles wisely! Bei rassifizierten Menschen wird häufig von der Umgebung erwünscht, dass sie ihre Existenz erklären. Der Fokus im Alltag sollte auf Selbstschutz liegen und nicht darauf, für meine Umgebung Antirassismusarbeit zu leisten, weil es ohnehin oft nicht gewollt ist. Man sollte nur mit den Menschen streiten, die einem auch wichtig sind. Die andere Sache ist, sich von Fremdvalidierung zu befreien, d.h. dass ich nicht von einer weißenMehrheit erwarte, dass sie mich akzeptiert und mir die Botschaft gibt, dass ich okay bin so wie ich bin. Dass ich das also mit meiner Community ausmache oder mit mir selber. Selbstvalidierung ist für Betroffene von Rassismus total wichtig.

Bei Aktivisten, die sich stark mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen, besteht auch das Risiko der Self-Inoculation, also dass man sich immer wieder mit traumatischen Erlebnissen rund um Rassismus auseinandersetzt. Dadurch kann es passieren, dass man sekundär traumatisiert wird und eine kollektive Belastung erfährt. Wenn man sich das selbst immer wieder antut weil man sich Dinge wie Police Shootings ständig im Internet ansieht, erlebt mach die Welt dadurch noch bedrohlicher, als sie für Schwarze Menschen und für People of Color ohnehin ist. Als Aktivist kann ich hier Verantwortung übernehmen und mein Leben auch mit schönen Dingen füllen, damit ich auch meine eigenen “Safe Spaces” kreiere.

Welche Erlebnisse sind Ihnen als Therapeuten besonders positiv in Erinnerung geblieben?

Stephanie Cuff: Ich erinnere mich gerne an meinen ersten Fall bei Opra zurück. Eine junge Frau of Color mit einer weißen deutsche Mutter und einem Schwarzen Vater hat mit ihrer Identität gerungen. Sie war in der Schwarzen Community aktiv und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, dass sie von Weißen so viel Rassismus erlebte und trotzdem einen weißen Partner gewählt hat. Wir haben über die Identität von Afrodeutschen gesprochen, wo ja ganz viele ein weißes Elternteil haben und dass in dem Moment, wo man versucht, das zu unterdrücken, man auch einen wesentlichen Anteil von sich selbst nicht mehr leben lässt. Natürlich wirst du von einer weißen Mehrheitsgesellschaft und dann noch von deiner weißen Familie geprägt – in deinen Werthaltungen, in deinem Benehmen etc. – und das gehört genauso dazu wie wie das Schwarzsein und der Prozess des Schwarzseins. Darüber haben wir uns sehr oft unterhalten und das war eine sehr schöne Begegnung weil ich gemerkt habe, dass sie sehr gestärkt herausgegangen ist und gemerkt hat, dass sie sich keinen Regeln unterwerfen muss.

Eben Louw: Das schönste Erlebnis war mit einem meiner ersten Ratsuchenden, der über einem Zeitraum von 2 Jahren an einer Gruppentherapie teilnahm. Ein junger Mann aus einem westafrikanischen Land, der in Ausbildung war und mit Alltagsrassismus schwer umgehen konnte, kam nach einem Angriff zu uns, weil er lernen wollte, damit besser umzugehen. Nach einiger Zeit hat er in der Gruppe von einem Erlebnis erzählt, wo er mit seiner weißen Freundin in der U-Bahn war und ihn ein weißer Mann rassistisch beleidigt hat. Er ist gar nicht darauf eingegangen, sondern hat dem Mann nur gesagt: “Berlin ist mein zuhause und ich fühle mich hier wohl. Ich habe heute einen schönen Tag und lasse ihn mir von dir nicht versauen. Wenn dir das nicht passt, dann geh doch woanders hin.” Dann hat er dem Mann den Rücken zugedreht und ist weggegangen, ohne sich auf einen Konflikt einzulassen. Er hat dann erzählt, dass die anderen Fahrgäste diesem Mann ebenfalls gesagt haben, dass er woanders hingehen soll. Einige haben auch applaudiert. Für ihn war das ein Erfolgserlebnis – und auch für mich weil ich gemerkt habe, dass eine Rassismus-sensible Beratung und Therapie total dabei hilft, wie man mit Alltagsrassismus umgeht. Dass man sich wehren kann ohne dass es einen währenddessen oder danach belastet. Es hat mir auch das Gefühl gegeben, dass es etwas bringt, sich als Therapeut damit zu beschäftigen.

Eben Louw, (MSc. Psychologe, HP. Psych) ist Heilpraktiker für Psychotherapie, Systemischer Therapeut (SG), BSc (hons.) Psychology, MSc Health Psychology, Dipl. Med. Tech. Er ist seit 2008 als Psychologe in der Beratungsstelle “Opra” für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt tätig.

Stephanie Cuff, (Dipl. Psych.) ist seit 2016 als Psychologin in der Beratungsstelle “Opra” für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt tätig. Sie betreibt außerdem die Plattform My Urbanology, die sich zum Ziel gesetzt hat, Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland zu vernetzen und sichtbarer zu machen.

Zum Sprachgebrauch:

Person of Color (Plural: People of Color, abgekürzt als PoC) ist eine politische Selbstbezeichnung für Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weißangesehen werden und wegen ethnischen und/ oder rassistischen Zuschreibungen von Rassismus betroffen sind. Der Begriff wird in abgewandelter Form auch für Frauen (Women of Color, WoC), Männer (Men of Color, MoC) oder Berufsgruppen (z.B. Artists of Color) verwendet.

Schwarze Menschen ist ebenfalls eine Selbstbezeichnung und wird groß geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es beim Schwarzsein um die Verbundenheit aufgrund gemeinsamer Rassismuserfahrungen und der Art und Weise, wie man wahrgenommen wird, geht.

Weiß und Weißsein bezeichnen ebenso wie Schwarzsein keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft.

Quelle: https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/reprasentation-und-seelische-gesundheit-race-doesnt-exist-but-it-matters